Quo vadis Bäckerhandwerk?
Gedanken und Wissenswertes zu Bäckerhandwerk, Backmischungen, Tiefkühl-Teiglingen, Zusatzstoffen und gesetzlichen Grundlagen
Ausgangslage im Bäckerhandwerk
Jeder kennt sie. Ständig ist in den Gazetten davon die Rede: die Veränderung der Bäckereilandschaft durch das Bäckersterben. Jeden Tag gibt in Deutschland ein kleiner handwerklich arbeitender Bäcker auf: Jahr 2015 -456; 2016 -418; 2017: -390 Betriebe. [Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V., Berlin, 2017]
Die Gründe scheinen den Journalisten, den Politikern, den Brotkäufern – wie auch den meisten Bäckermeistern – einfach und einleuchtend zu sein.
Wer trägt die Schuld am Bäckersterben?
- Die Kunden, die der „Geiz ist geil“-Mentalität folgen und ihre Brötchen halbgebacken und die Torte tiefgefroren im Supermarkt kaufen?
- Die kleinen Bäcker die sich weigern, billige Backwaren anzubieten?
- Der Gesetzgeber, der auf der einen Seite den „Kleinen“ immer mehr Knebel in Form von Dokumentationspflichten und Hygienevorschriften auferlegt und andererseits den „Großen“ massive Schlupflöcher bei der Verwendung von Zusatz- und Hilfsstoffen lässt?
- Sind es die Menschen, die keine Lust haben, den Beruf eines Bäckers / Konditors zu erlernen und damit das Handwerk ohne Nachwuchs einfach aussterben lassen?
- Oder sind Lebensmittel- und Chemiegiganten der globalisierten Wirtschaft schuldig, die nur noch Zutaten für Industriebackwaren herstellen?
Sind das die Gründe für das Bäckersterben?
David gegen Goliath – Gut / Böse – Handwerk / Industrie – Schwarz / Weiß
Die kleinen, vorgeblich traditionell arbeitenden Betriebe im Bäckerhandwerk sind bei Vielen die „Guten“. Es herrscht die Vorstellung: Handwerksbäcker verarbeiten ohne große Maschinen sehr gute und teure Zutaten mit viel Zeitaufwand und Liebe zu „teuren“, aber guten Endprodukten.
Auf der anderen Seite stehen die „Bösen“: Supermärkte mit Aufbackautomaten, größere Filialbäckereien, Mittelständische oder Großbäckereien mit Produktionshallen, Knetrobotern und Chemielaboren. Ganz ähnlich wie in „Brust oder Keule“ – stellt man sich deren Arbeitsweise vor. Diese größeren Spieler auf dem Backwarenmarkt produzieren viel mehr, mit billigen Zutaten und verkaufen ganz gut schmeckende Produkte zu konkurrenzlosen Preisen.
Der Brot-Kunde wiederum muss –überspitzt dargestellt- auf ein neues Telefon, ein neues Auto für den Sohn, die siebente Eigentumswohnung oder den Karibikurlaub sparen. Was für ihn zählt ist billige, noch halbwegs schmackhafte Ernährung.
Klar, wer da der Verlierer ist: die kleine Bäckerei an der Ecke.
Soweit die Theorie.
Vertrauensverhältnis zwischen Bäckerhandwerk und Kunde?
Wer sich als Brotkonsument etwas mit dem Thema beschäftigt, verliert vielleicht sein Vertrauen in die Bäckerzunft. Ein Hauptschuldiger dafür und Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist die Politik.
Bisher haben kleine handwerklich arbeitende Bäckereien einen Vertrauensvorschuss von ihren Kunden. Sie galten bzw. gelten als Pfeiler der traditionellen, naturnahen Handwerkskunst – frei von Sorgen um Insektizidbelastung, Antibiotikaresistenz und Genmanipulation. Nur Mehl, Hefe, Salz und Wasser – fertig ist das leckere Brot.
Wenn jedoch heute ein Kunde in die Bäckerei kommt und fragt: „Was backen sie denn noch selbst?“ – stimmt da irgendetwas nicht mehr.
Wenn der Kunde dann noch weiß, welche Stoffe laut Gesetz in Backwaren enthalten sein dürfen und ob sie deklariert werden müssen, macht ihn das nachdenklich. Erst recht, wenn er fürchtet, dass eben jene industriellen Zusatzstoffe auch vom kleinen Bäcker von nebenan verwendet werden. Nur muss dieser – im Gegensatz zu den Brötchenpackungen in der Tiefkühltruhe beim Discounter- diese Stoffe nicht ausweisen.
Träume werden wahr: mit vielen Experimenten und Chemie oder durch kreative Gesetzesauslegung?
Der feuchte Traum der Tiefkühlbackwaren- und Backmischungsindustrie ist ein „Clean Label“ für ihre Produkte. Heißt: Alle verwendeten Zusatz- und Hilfsstoffe müssen nicht deklariert werden. In dieser Beziehung müssen sich die „Großen“ echt Mühe geben. Denn das Ergebnis steht schwarz auf weiß auf der Packung und ist überprüfbar.
Bei vielen „kleinen“ Bäckern ist dieser Traum bereits wahrgeworden. Es gibt schlicht gar kein „Label“. Oder haben Sie schon mal 16 eng gedruckte Zeilen Zusatzstoffe und E-Nummern auf dem kleinen Klemm-Schildchen „Birnen-Gries-Kuchen 1,70 €“ direkt im Bäckereitresen gesehen?
Das Maximale der Kennzeichnungs-Gefühle beim Bäcker ist oft der Hinweis auf enthaltene Allergene oder allgemein „enthält Farbstoffe” oder „Konservierungsstoffe”. Nur das schreibt das Gesetz vor. Mehr nicht.
Lösung: Ich frage den Bäcker und stelle das Vertrauen wieder her!
Bin ich als Verbraucher auf der sicheren Seite, wenn mir der Bäckermeister antwortet: „Nein, wir verwenden keine Backmischungen.“? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht.
Wie wahrscheinlich wir alle ein bisschen, suchen auch Bäcker nach Wegen (Schlupflöchern) zu einem einfachen, bequemen Leben. So sind doch z.B. „vorgemischte Backzutaten“ keine Backmischungen, auf die meine Frage abzielte, oder wie sehen Sie das? Deshalb hat der eingangs erwähnte Bäcker mit seiner Antwort wahrscheinlich im Sinne des Gesetzes nicht gelogen.
Natürlich enthalten diese Vormischungen – oder wie man sie auch immer bezeichnen will- genau jene Zusatzstoffe, die ich als Brot- und Kuchenesser eigentlich nicht in mich hineinstopfen will … Und die -nebenbei gesagt- nicht nötig sind für ein leckeres, frisches Backwerk.
Solange sich viele im Bäckerhandwerk an die für sie angenehme Gesetzesauslegung und nicht an die Transparenz- und Reinheits- Bedürfnisse von mir als Kunden halten, wird es schwer werden, mit dem Vertrauens-Wiederaufbau.
Der Westen: „Fertigmischung statt eigener Teig – Wie Bäcker uns täuschen“
NDR TV- Beitrag über die Tricks der Bäcker „Handwerks-Lüge“
„Sie locken mit „frisch gebacken“, „Tradition“ und „selbst gemacht“. Doch statt zum versprochenen Handwerk greifen viele Bäcker in die Chemie-Tüte.“ [NDR, 2016]
Der Stern: Titelstory vom 22.10.2017 „Das Märchen vom guten deutschen Brot“
„Auf kaum etwas sind die Deutschen so stolz wie auf ihr Brot. Geschmack und Vielfalt gelten als einzigartig. Doch viel davon ist Blendwerk. Kaum ein Bäcker schafft Qualität noch aus eigener Kraft. Einblicke in eine Welt voller Maschinen und Mittelchen.”
Bäckerhandwerk – Verfechter von Tradition und ehrlicher Handwerkskunst?
Großenteils unbeachtet von der nicht-professionell-backenden Öffentlichkeit gärt es im Bäckerhandwerk. Da gibt es eine noch kleine Schar von Verfechtern des totalen Zusatzstoff-Verzichts. Denen gegenüber stehen diejenigen, die sich nicht von der nun einfacheren Teigführung, dem konstanteren Ergebnis und dem nicht-mehr-Bedarf an Fachpersonal trennen können oder wollen.
Wenn selbst ein Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks u.a. 1999 verkündet, dass es in 2-3 Jahren nur noch Brot mit gentechnisch veränderten Zutaten in der Bäckerei zu kaufen geben wird (Hans Bolten) oder ein anderer ein Ende der Blockade des Einsatzes gentechnisch veränderter Backzutaten fordert (2012) und eine Imagekampagne pro Bäcker führt (2015), die die Verbraucher eher das letzte Bisschen Vertrauen verlieren lässt (Reaktion darauf von „Die Bäcker. Zeit für Geschmack e.V“ / Slow Food), zeigt das eine tief sitzende Orientierungslosigkeit und Abwendung vom Kunden.
Wie zur Bestätigung hat der aktuelle Verbandspräsident Michael Wippler, der Inhaber der Bäckerei Wippler in Dresden-Pillnitz ist, auf unsere Anfrage, ob seine Bäckerei zugekaufte Teiglinge oder Backmischungen verwendet, nicht reagiert (schmeckt Hier Übersicht Bäcker in Dresden). Damit war er nicht allein. Knapp 80% der von uns befragten Bäckerhandwerks-Betriebe machten keine Angaben zur Verwendung von zugekauften Teiglingen oder Backmischungen.
Transparenz beim Bäcker = Nestbeschmutzung?
Stellen Sie sich vor, Sie kommen in eine Bäckerei und auf vielen Namensschildern der Brote, Brötchen und Kuchen steht die Info „ohne Zusatzstoffe“. Komisch. Dachten Sie doch bisher, dass Brot ein Naturprodukt sei und ganz selbstverständlich keine Zusatzstoffe zum Backen benötigte!
Könnte es sein, dass Sie nun sensibilisiert sind und bei einer anderen Bäckerei vielleicht umsonst nach dieser Zusatz-Info Ausschau halten?
Diesen –für das Bäckerhandwerk- kontraproduktiven Aufmerksamkeitsgewinn beim Kunden fürchten viele Bäcker.
Aber oft waren es eben genau diese „Nestbeschmutzer“, die eine nachhaltige Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung, Umweltschutz, Datenschutz usw. angestoßen haben.
Wir als Kunden sollten uns genau überlegen, wen wir mit unserem Brot- und Gebäckkauf unterstützen.
Aufsteller vor der Bäckerei: „Unser Brot wird ohne Gentechnik gebacken”
Nach allem, was wir bisher gehört haben, ist Vorsicht bei solch einer Aussage geboten. Erstens beschränkt sich diese Aussage eines Bäckers nur auf sein Brot. Woraus sind denn seine Brötchen, sein Kuchen oder seine Konditorwaren? Zweitens müssen gentechnisch veränderte Zusatzstoffe nicht deklariert werden.
[Update 23.7.2018] Derartige Aufsteller finden sich natürlich auch im übertragenen Sinne als neutrale Infoseiten getarnt im Internet. Häufig stecken dahinter Interessenverbände des Bäckerhandwerks. So unterstellte mir Bernd Kütscher, der Direktor der Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks in Bezug auf diesen Beitrag hier Ungebildetheit. Am 23.7.2018 schrieb er auf Facebook: „Lesen bildet“ mit Verweis auf einen Beitrag des sogenannten „Der Brotexperte“. Sie ahnen es: Der Verantwortliche dieser Seite heißt Bernd Kütscher. In dem verlinkten Beitrag (den ich natürlich bereits kannte) versucht der „Brotexperte“ unterschwellig alle Backwaren vom Vorwurf des ungezügelten Zusatzstoffeinsatzes reinzuwaschen – belegt dies aber nur für Brot. Wie schon oben gesagt: „Die halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge.“
1999 erklärte Armin Werner, Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Backmittel- und Backgrundstoffhersteller e.V.: „Eine Garantieerklärung im Sinne der Verordnung ‚ohne Gentechnik‘ ist nicht möglich.” [Quelle] Hat sich daran etwas geändert?
Halten Sie sich dazu vor Augen: ca. 95% der deutschen Bäcker werden von der Backmittelindustrie beliefert.
Was will der Kunde?
Viele Bäcker, die sich Gedanken über ihre Zukunft machen, versuchen zu ergründen: Was will mein Kunde? Was ist ihm wichtig?
Generell werden zumindest drei Punkte genannt, warum der Kunde wiederholt in einem Geschäft (nicht nur bei Bäckern) einkauft:
- Preis und Auswahl der Produkte
- Geschmack (Übereinstimmung mit Gewohntem)
- Freundlichkeit des Verkaufspersonals (bestes Beispiel: Kritiken z.B. bei Tripadvisor. Ist das Personal unfreundlich, wird der ganze Laden mit einem von 5 Punkten bewertet, unabhängig davon, welche Qualität die Produkte haben.)
Mit diesem Wissen, das sich der Bäcker selbst oder mit Hilfe von Marketingexperten besorgt, versucht er sich einen Wettbewerbsvorteil auf dem Backwarenmarkt zu verschaffen.
Speziell beim zweiten Punkt muss sich der Kunde selbst an der Nase bzw. den im Gehirn abgespeicherten Geschmacksnormen fassen. Der WDR hat dazu einen interessanten Test gemacht: „Wer backt die besten Brötchen?“ Das teilnehmende Brötchen eines traditionell arbeitenden Bäckers schnitt im Geschmackstest bei ungeschulten Normalbürgern sehr schlecht ab. Bei Supermarktbrötchen waren folgende Äußerungen zu hören: „ Ja, schmeckt gut. Wie bei mir zu Hause.”
Der Ernährungsmediziner Thomas Kurscheid hat eine Erklärung: „Unsere Geschmacksnerven haben sich auf die ‚künstlichen‘ Brötchen mit Enzymen eingestellt und halten das nun für das Normale und eben nicht das mit schönem Hefeteig gebackene.“
Wir als Kunden haben uns selbst über Jahre auf den unnatürlichen Geschmack der Chemiebackwaren konditioniert. Sind wir nun die Pawlowschen Hunde der Discounter-Backwaren und Backmischungen?
Zurück zur Ausgangsfrage: „Wer trägt die Schuld am Bäckersterben?”
Mit etwas Kenntnis der Hintergründe kann man die eingangs gestellte Frage neu beantworten: Der Hauptschuldige ist das Bäckerhandwerk selbst.
Zum Ersten benutzen offenbar bundesweit zwischen 50 und 98% der „kleinen” Bäcker die gleichen Zutaten, wie sie in Supermarkt-Aufbackwaren enthalten sind (zugekaufte Teiglinge, Backmischungen, Zusatzstoffe). Zum Zweiten versuchen viele Betriebe des Bäckerhandwerks dies zu verschleiern. Dem Bäcker-Kunden wird die romantische, heile Welt des handwerklich und mit natürlichen, traditionellen Zutaten arbeitenden Bäckers vorgegaukelt. In Wirklichkeit verkaufen offenbar die meisten Handwerksbäcker Produkte aus den gleichen Zutaten, wie Supermärkte – aber zu höheren Preisen. Welchen Grund sollte es für mich als Kunden geben, für ein gleichwertiges Produkt mehr zu zahlen?
Dass dieses Verhalten eines großen Teils des Bäckerhandwerks auf alle Bäckereien, also auch die sauber, transparent und ehrlich arbeitenden Betriebe abstrahlt, ist offensichtlich und bedauerlich.
Wie weiter mit dem Bäckerhandwerk?
Als Liebhaber natürlicher Lebensmittel wünschte ich mir, dass es eine Rebellion, eine Art Reformation im Bäckerhandwerk gäbe. Deren Ziel sollte eine Rückbesinnung auf saubere, natürliche Backwaren sein und könnte sicher auch wieder das Vertrauen in das Bäckerhandwerk zurückgewinnen.
Passiert dies nicht, werden die Kunden mit den Füßen abstimmen und zu „sauberen” Bäckern oder im -für das Bäckerhandwerk- schlimmsten Fall gleich in den Supermarkt zum Brötchenholen gehen.
Letzten Endes geht es bei Backwaren genauso wie bei allen anderen Lebensmitteln um die Wertschätzung, die wir ihnen entgegen bringen. Und diese Wertschätzung und unser Respekt vor der Natürlichkeit dieser Produkte müssen wieder steigen – im Bäckerhandwerk, wie auch bei Konsumenten.
Dass diese Rückbesinnung auf das echte Naturprodukt aus Meisterhand nur mit einer Beschränkung auf eine kleinere Brot- und Brötchenauswahl einhergehen kann, muss natürlich jedem Kunden bewusst sein. Dass das funktionieren kann, dafür gibt es gute Beispiele.
Ganz nebenbei muss die Politik endlich wieder im Sinne der Verbraucher, einer nachhaltigen Entwicklung und nicht zuletzt auch für die Bewahrung unserer Traditionen handeln. Schließlich ist die Deutsche Brotkultur immaterielles Weltkulturerbe und kein Chemielabor.
Exkurs E-Stoffe
E-Stoffe verteufelt oder nützlich?
Lebensmittelzusatzstoffe werden vor ihrer Zulassung von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) streng geprüft. Viele Zusatzstoffe mit chemisch klingenden Namen stammen aus natürlich vorhandenen Inhaltsstoffen von Lebensmitteln bzw. werden aus diesen gewonnen. Liste der E-Stoffe
„E-Nummern” –derzeit ca. 340- stehen also lediglich für eine europaweit geltende Kennzeichnungssystematik. Sie zeigen, dass ein Lebensmittelzusatzstoff nach umfangreichen Prüfungskriterien für Lebensmittel zugelassen wurde. Für Brot und Backwaren gelten besonders strenge Richtlinien, daher sind nur wenige Zusatzstoffe zugelassen, deren Einsatz klar geregelt ist.
Im Brot verboten sind z.B. alle Farbstoffe (E100 – E180) und Konservierungsstoffe (E200 – E297).
Da E-Stoffe ein schlechtes Image haben, sind Hersteller dazu übergegangen, die Vollnamen der Zusatzstoffe zu verwenden, statt der E-Nummern. Technische Hilfsstoffe (Filtrierhilfsmittel, Entfärber, Formtrennmittel, Antiklumpmittel) müssen nicht auf der Verpackung angegeben werden.
E-Nummern in Lebensmitteln werden für vollkommen natürliche Stoffe, wie auch für Zusatzmittel verwendet. Generelle Bedenken sind unangebracht, jedoch liegt bei den Bäckern/ Konditoren die Verantwortung über die Entscheidung für einen Einsatz, der sich m.E. an der unbedingten Notwendigkeit ausrichten sollte.
E-Stoffe im Apfel
Äpfel enthalten von Natur aus E-Stoffe. Dies heißt aber nicht, dass diese Zusatzstoffe aus dem Apfel gewonnen werden.
E 101 Riboflavin (Vitamin B2), E 140 Chlorophyll, E 141 Kupferhaltige Komplexe, E 160a Beta-Carotin, E 163 Anthocyane, E 296 Apfelsäure, E 300 (L-) Ascorbinsäure (Vitamin C), E 306 Tocopherol (Vitamin E), E 330 Citronensäure, E 333 Calciumcitrat, E 340 Kaliumphosphat, E 420 Sorbit, E 440 Pektin, E 460 Cellulose, E 501 Kaliumcarbonat, E 570 Fettsäure. [mehr Infos dazu: Die Lebensmittelwirtschaft]
Ascorbinsäure E 300 im Mehl – eine Frage der Bequemlichkeit und Notwendigkeit
Dieser Stoff wird dem Mehl bereits in fast allen Mühlen beigemengt und ist in 99% aller Backmischungen enthalten. Er dient der Mehlreifung. Unter normalen Umständen müsste Mehl 2-4 Wochen ablagern und reifen, um verarbeitbar zu werden. Mit dem Zusatzstoff vollzieht sich dieser Prozess in einem Tag. Aber ist dessen Einsatz nötig?
Wo kommt Ascorbinsäure her? Aus dem natürlichem Vitamin C? Eher nicht. Weltweit werden davon jährlich 80.000 Tonnen produziert, größtenteils mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen. Hauptlieferant ist China.
E 330 Citronensäure oder Zitronensäure
Beide Schreibweisen stehen für das Gleiche. Zitronensäure gibt es nur im Traum. Aber es klingt irgendwie natürlicher. Citronensäure wird durch Fermentation zuckerhaltiger Rohstoffe wie Melasse und Mais hergestellt. Für die Fermentation werden Aspergillus-Niger-Stämme verwendet (schwarzer Gießkannenschimmel). Vor allem in den USA und in China kommen oft transgene Varianten des Schimmelpilzes zum Einsatz. In Europa ist dies nicht gestattet.
In der Natur entsteht die Citronensäure sehr häufig als Stoffwechselprodukt aller sauerstoffverbrauchenden Lebewesen. Sie kommt neben der namensgebenden Zitrone auch in Äpfeln, Birnen, Sauerkirschen, Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren, in Nadelhölzern, Pilzen, Tabakblättern, im Wein und sogar in der Milch vor.
Geschmacksverstärker E 620 – 650
Davon -z.B. von Glutamat– haben sicher die Meisten gehört und wollen diese nicht in der Zutatenliste finden. Was nicht als Geschmacksverstärker gekennzeichnet werden muss sind Mischprodukte mit einem hohen Anteil an Aminosäuren wie etwa Hefeextrakt oder Aromen. Diese haben im menschlichen Gehirn die selbe Wirkung, wie kennzeichnungspflichtige Geschmacksverstärker.
Hefeextrakt
Klingt irgendwie nach Hefe, oder?! Hat aber nur entfernt damit zu tun. Und zum Backen wird Hefeextrakt keinem Produkt beigemischt.
Auf der Zutatenliste von Lebensmitteln kann er als „Hefeextrakt“ oder „Aroma“ deklariert werden. Um einen Lebensmittelzusatzstoff im Sinne der deutschen Zusatzstoff-Verkehrsverordnung handelt es sich nicht. Seine Geschmacks-Verstärkungswirkung beruht auf dem Gehalt an Aminosäuren, Peptiden und Nukleotiden, insbesondere Glutaminsäure, Guanylsäure und Inosinsäure. Einzeln müssten sie deklariert werden, nicht jedoch als Hefeextrakt. … ein Segen für jeden Tütensuppenhersteller.
Beispiele für E-Stoffe:
E 100 Curcumin: Naturfarbstoff, orangegelb,
E 175 Gold: Blattgold z.B. im Danziger Goldwasser,
E 260 Essigsäure,
E 290 Kohlendioxid,
E 406 Agar-Agar: aus Rotalgen,
E 501 Pottasche (Kaliumcarbonat): aus Holzasche oder Kalisalzen (Werra-Kalirevier),
E 901 Bienenwachs,
E 948 Sauerstoff,
E 949 Wasserstoff.
Ob ein E-Stoff im Naturprodukt vorhanden ist, von natürlichen oder genmanipulierten Organismen erzeugt wurde oder gänzlich im Chemielabor entstanden ist, darüber gibt die Kennzeichnung mit den E-Nummern keine Auskunft.
Weiterführende Informationen, das Thema im Fernsehen
Fernsehbeitrag über Backmischungen, Teiglinge, Zusatzstoffe
SWR betrifft „Billige Brötchen: Die Spur der Teiglinge“ Erstausstrahlung 14.12.2011
Tiefkühlbäcker
In Deutschland stellen laut Internetportal „Wer-liefert-was“ mindestens 83 Unternehmen Tiefkühlbackwaren her. Im Umkreis von 100 km um Dresden gibt es laut wlw.de zumindest zwei.
Teiglinge – ohne geht’s nicht.
Jeder Bäcker stellt seine eigenen Teiglinge her: Für Brot, Brötchen, Kuchen oder Weihnachtsgebäck. Um wirtschaftlich arbeiten zu können und dem Kunden trotzdem schon bei Ladenöffnung eine ansprechende Produktpalette anbieten zu können, wird Teig vorbereitet und nachfolgend gekühlt bzw. sogar tiefgekühlt, um später gebacken zu werden. Diese vom Bäcker selbst hergestellten Teiglinge haben jedoch nichts gemein mit den zugekauften Teiglingen aus Industrieproduktion.
Backmischungen in der Bäckerei: Genau wie im Supermarkt, z.B. für Bauernbrot?
Darüber, welcher Bäcker welche Backmischungen einsetzt, kann nur spekuliert werden. Wenn vorgemischte Zutaten in der Zutatenliste auftauchen, so werden diese meist nur dem eigenen Quellstück / Sauerteig bzw. dem eigenen Mehl zugegeben. Man unterscheidet die Backvormischungen je nach ihrem Anteil an der Trockenmasse des Teiges in „Prozenter“. So gibt es z.B. 20-, 50- und 100- Prozenter (Fertigbackmischung).
Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 50 und 98 Prozent aller Backbetriebe Vor- oder Fertigmischungen bei der Herstellung von Brot verwenden und dieses Brot trotzdem mit dem Gütesiegel „Aus eigener Herstellung“ versehen. [Udo Pollmer, „Wohl bekomm’s!/Prost Mahlzeit!“, Kiepenheuer & Witsch, 2006]
Süddeutsche: Peinlich aber erfolgreich: Backmischungen von Kathi aus Halle/Saale
Wurden Backmischungen infolge der Mangelwirtschaft in der DDR erfunden?
Stern TV: Ergebnis des Brot-Tests: Wie weit ist die Verwendung von Fertigmischungen beim Backen verbreitet?
Backmittel – was ist das?
Bereits seit über 100 Jahren verbessern Bäcker damit die Teigbeschaffenheit und die Backeigenschaften erheblich und erreichen eine gleichbleibende Qualität.
Backmittel verändern Teig- und Gebäckeigenschaften.
Das einfachste Backmittel ist Gerstenmalz. Es verändert das Bräunungsverhalten, dient als Nahrung für die Hefe und verbessert den Geschmack.
Mit Backmitteln kann man aber noch mehr Eigenschaften verändern, dazu zählen Gärtoleranz, Teigbeschaffenheit und vor allem Maschinengängigkeit. Letzerer Punkt ist auch deren Haupteinsatzzweck. Der Teig wird an die Maschinen angepasst, nicht umgekehrt.
Die Backeigenschaften des Mehls variieren von Jahr zu Jahr, von Sorte zu Sorte und abhängig von Region, Boden und Wetter. Besonders bei Brot, mit über 50 % Mehlanteil, wirkt sich das drastisch aus.
Um trotzdem gut zu verarbeitende, einheitlich aussehende, gleich schmeckende und lange haltbare Backwaren zu erhalten, werden vielfach Enzyme, Ascorbinsäure und Emulgatoren beigemengt.
Ascorbinsäure (für Bioprodukte Biopflanzenextrakte mit natürlichem Vitamin C) verbessert die Teigeigenschaften beim Gashaltevermögen – was zu mehr Volumen führt – und die Teigverarbeitungseigenschaften.
Für ein „Clean Label“ werden die Emulgatoren (z.B. Monoglyceride) durch Enzyme wie spezifische Amylasen, Amyloglucosidasen und Lipasen ersetzt. Und schwupps: sind sie nicht mehr deklarationspflichtig!
nach: „BACKMITTEL IN DER BÄCKEREI“, foodAktuell
„Clean Label – garantiert ohne Zusatzstoffe“
heißt, dass die enthaltenen Zusatzstoffe, Backhilfsmittel, Verarbeitungshilfsstoffe usw. laut Gesetz nicht auf der Produktverpackung als Zusatzstoffe deklariert werden müssen. Was nicht bedeutet, dass keine drin wären – ganz im Gegenteil. Erklärtes Ziel der Enzymproduzenten und Zusatzstoffhersteller ist die komplette Darstellung aller Mehl- und Teigeigenschaften mittels künstlich hergestellter bzw. veränderter Stoffe (Aussage eines Herstellers aus SWR betrifft „Billige Brötchen: Die Spur der Teiglinge.“).
Lebensmittelklarheit.de: „Ohne Zusatzstoffe“ – trotzdem aromatisiert und im Geschmack verstärkt: „Clean Label“
Gesetze zur Verschleierung Deklarierung der enthaltenen Zusatzstoffe
Verordnung (EU) Nr. 1333/2008 (Lebensmittelzusatzstoffe)
Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittel-Informationsverordnung)
Deutschland: ZZulV – Verordnung über die Zulassung von Zusatzstoffen zu Lebensmitteln zu technologischen Zwecken
Keine Zutatenliste bei unverpackter Ware
Zitat von www.lebensmittelklarheit.de: „Bei unverpackt angebotener Ware, wie beispielsweise an Bedienungstheken, gibt es gar keine Zutatenliste. Man erfährt hier nicht, woraus das Lebensmittel besteht. Lediglich bestimmte Zusatzstoffe oder Gruppen von Zusatzstoffen müssen kenntlich gemacht werden, zum Beispiel „mit Farbstoff“, „mit Phosphat“. Außerdem sind Informationen über die Hauptallergene verpflichtend.“
Ein genaues Hinschauen bzw. Nachfragen beim Bäcker lohnt trotzdem. Einige Bäcker kennzeichnen bereits freiwillig mit vollständigen Zutatenlisten. Hier ein Beispiel (der Birnen-Grieß-Kuchen), wie es aussehen könnte: für jedes Bäckereiprodukt gibt es eine Übersicht mit Inhaltsstoffen, Allergen- und Nährwertangaben.
Technologische Wirksamkeit: Verarbeitungshilfsstoffe
– auch Technische Hilfsstoffe genannt, müssen nicht deklariert werden. Charakteristisch für die Verarbeitungshilfsstoffe ist, dass sie wieder aus dem Lebensmittel entfernt oder „inaktiviert“ werden. Nur unbeabsichtigte, technisch unvermeidbare Rückstände des Stoffes können noch im Enderzeugnis vorhanden sein, sofern diese gesundheitlich unbedenklich sind und sich technologisch nicht auf das Enderzeugnis auswirken. Eine Reihe von Enzymen gelten als Verarbeitungshilfsstoffe. Durch Erhitzen werden sie in ihrer Struktur verändert, so dass sie anschließend keine Enzym-Wirksamkeit mehr besitzen. Quelle
Klassisches Beispiel für so einen Hilfsstoff: Zur Klärung von naturtrübem Apfelsaft setzen die Hersteller oft Schweine- oder Rindergelatine ein. Deklarieren müssen sie dies nicht. (Foodwatch: „Ein Schweinchen namens Saft“)
Carry Over (Zusatzstoffe in Zutaten)
Der Begriff „Carry Over“ steht dafür, dass bestimmte Lebensmittelzusatzstoffe über Zutaten in Lebensmittel gelangen dürfen, für die sie direkt nicht zugelassen sind. Sie müssen aber nicht deklariert werden. Solche Stoffe gelten rechtlich nicht als Zutaten und erscheinen daher nicht im Zutatenverzeichnis.
Nach den Regeln der EU [VO (EG) Nr. 1333 / 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe, Artikel 18] dürfen Lebensmittelzusatzstoffe in zusammengesetzten Lebensmitteln enthalten sein, sofern der Zusatzstoff in einer seiner Zutaten erlaubt ist. Wenn aber beispielsweise ein für Aromen oder Enzyme zugelassener Lebensmittelzusatzstoff in das fertige Lebensmittel gelangt, so darf er darin jedoch keine technologische Funktion erfüllen.
Beispiele dafür, wie Zusatzstoffe über das Carry Over in fertige Backwaren gelangen können, sind Konservierungsstoffe, die z. B. in getrockneten, konzentrierten, gefrorenen, tiefgefrorenen oder flüssigen Eiprodukten, Würzmitteln, Aromen oder auch Fettemulsionen zugelassen sind.
[Prof. Dr. Gert von Rymon Lipinski, Bad Vilbel „Potenzielle Streitfragen bei der Kennzeichnung von Zusatzstoffen in Backwaren: Was muss wann gekennzeichnet werden?“ aus backwaren aktuell, Ausgabe 3 / Dezember 2010] ab Seite 9.
© schmeckt Hier 2018
Bilder: Titelgrafik: T.R., Grafiken Birne-Grießkuchen und Malz: Marlon Gnauck.
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